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Gibt es Objektivität im Tanzunterrricht?

Für die heutige Folge wurde ich durch das Format  - The Voice of Germany  inspiriert.

Immer wieder einmal klinke ich mich dort ein, denn obwohl ich grundsätzlich diese Formate nicht besonders mag, ist es doch unumstritten, dass besonders bei - The Voice of Germany  - viele musikalische Talente zu finden sind und ein hohes Gesangs Niveau präsentiert wird.

 

In der dritten Folge der Blind Auditions, die ich mir in Ausschnitten angesehen habe, trat das Gesangstalent Ann Sophie Dürmeyer auf. Eine wundervolle Stimme und Künstlerin, die ich schon live auf der Bühne in Hamburg in einer Hauptrolle im Musical „Cirque Du Soleil Paramour“ bewundern durfte.

 

Das, was mich aber besonders eingenommen hat war ihre Geschichte. Sie vertrat Deutschland im European song contest  - ESC 2015, belegte dort den letzten Platz und wurde so in ihren künstlerischen Grundfesten erschüttert, dass sie sich und ihr Talent komplett hinterfragt hat. Sich als nicht gut genug empfand und letztlich Jahre brauchte, diese Niederlage zu überwinden. Damals war sie gerade mal 25 Jahre alt.

 

Dieses Beispiel zeigt, wie wir unsere eigene Welt und Wirklichkeit konstruieren und in Abhängigkeiten setzen, die nicht immer gesund sind.

 

Die Frage die sich mir stellt ist Folgende: hätte Ann Sophie Dürmeyer auch so stark an ihrem Talent gezweifelt, wenn sie nicht zum ESC gefahren wäre? Sie hatte es ja immerhin in der deutschen Vorentscheidung auf den zweiten Platz geschafft. Und nur weil der Erstplatzierte damals nicht zum ESC gefahren ist, sich nicht in der Lage fühlte, diesen Contest durchzustehen, ist sie eingesprungen. Es war ein hoher Preis, den sie zahlen musste und mich hat diese sehr emotionale Geschichte dazu bewegt hat, die Gedanken, die bei mir hochkamen, auf die Tanzpädagogik und unsere Arbeit im Trainingssaal zu übertragen.

Was wir in unserem Unterricht anbieten!

Wir bieten im Tanzunterricht einen Rahmen an, indem bestmöglich, konstruktiv und zielführend gearbeitet wird.

Wir befinden uns in einer eigenen Welt, in der wir uns über bestimmte Begriffe verständigen können. Es ist die Sprache des „Tanzes“ mit all seinen Bedeutungen.

Guter Unterricht befindet sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen arrangiertem Schrittmaterial und Improvisation. Er kennzeichnet sich zudem durch eine hohe Flexibilität, die genau dadurch, der Kreativität den notwendigen Raum lässt.

Tanzunterricht hat somit einen hohen Anspruch. Einmal in Bezug auf den Inhalt aber darüber hinaus auch an den Umgang miteinander.

Neugierde und Interesse am Menschen sind wichtige pädagogische Grundhaltungen, die wir in unsere berufliche Arbeit mitbringen sollten, damit eine tragfähige Beziehung entstehen kann.

 

Es ist auch genau diese Form der Beziehungsgestaltung, die das notwendige Maß an Sicherheit gibt und durch klar kommunizierte Wertschätzung, Schritt für Schritt in ein Vertrauensverhältnis übergeht.

Dadurch, dass ich versuche, meinen Schüler*innen die größtmögliche Stabilität an Beziehung zu geben, kann sich der Schüler in eine Instabilität in der Auseinandersetzung mit neuem Schrittmaterial begeben. Kann sich in Unsicherheiten und in eine Fehlerkultur begeben, die ihm nicht schaden wird.

 

 

Aber, auch wenn ich mir, aus meiner Sicht, die größtmögliche Mühe gebe, alle meine Schüler*innen zu erreichen und für alle Schüler*innen den gleichen Maßstab ansetze. Warum vertrauen mir dann einige Schülerinnen gerade nicht? Warum verlassen sie meinen Unterricht wieder?

Sind es Gründe, die sich auf den Stundeninhalt beziehen oder auf mich als Lehrkraft? 

Jeder Mensch ist ein Unikat!

Beobachte ich meine Schülerinnen in meinem Unterricht, dann muss ich mir letztlich eingestehen, dass ich nie genau wissen kann, was sie denken, was sie fühlen und wie sie den Lernstoff aufnehmen.

Ich interpretiere, ich spekuliere und stelle Vermutungen an.

Ich reagiere nicht auf die Gefühle und Gedanken des anderen, sondern ich reagiere darauf, was ich denke, dass der andere fühlt, denkt und sagt.

 

Jeder Mensch ist ein absolutes Unikat. Sei es körperlich, seelisch oder geistig. Jeder hat seine ganz eigene Art sich zu bewegen, entsprechend seiner Konstitution. Hat seine eigenen Erwartungshaltungen, gepaart mit Überzeugungen, Ängsten und Einstellungen.

 

Wir können niemals genau wissen, wie der Wirkungsgrad unserer tanzpädagogischen Arbeit in Bezug auf unsere Schülerinnen und Schüler ist.

Es sind letztlich unsere persönlichen Annahmen und wir sollten uns alle bewusst machen, dass es Objektivität nicht geben kann.

Unser ganzes Leben ist von Einflüssen geprägt werden, die sich in unseren Überzeugungen Einstellungen und Haltungen festsetzen. Wir ordnen diese ganzen Elemente und kreieren damit unsere eigene Wirklichkeit, an der wir festhalten, die wir als wahr empfinden. Aber es ist letztlich nur unsere Konstruktion von Wirklichkeit.

Das wir uns so verhalten ist verständlich, denn Menschen brauchen Strukturen anhand derer sie Erlebnisse und Erfahrungen einordnen können. Das gibt Halt.

Menschen kreieren ihre eigene Geschichte!

So neigen wir Menschen also dazu, unsere eigene Geschichte immer wieder und wieder zu erzählen, bis sie sich letztlich verfestigt hat.

Wir kreieren unsere eigenen Glaubenssätze, die sich oft wie in Stein gemeißelt anfühlen obwohl sie veränderbar sind.

Seine eigene Lebensgeschichte immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, wäre hilfreicher Schritt, um die Flexibilität nicht zu verlieren, die es braucht, um neue Wege einzuschlagen.

Halten wir uneingeschränkt am eigenen Gedankenkonstrukt fest, lassen wir ein starres, unbewegliches Gebilde entstehen, was zu Blockaden und gedanklichen Einbahnstraßen führen kann.

Das Wissen, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt, dass unterschiedliche Beschreibungen von einer gleichzeitig erlebten Situation existieren, lässt das Verständnis füreinander wachsen. Lässt uns auch einfacher auf andere Gedankenwelten einlassen.

 

In einem pädagogischen Beruf, wo es vor allem um die Zusammenarbeit mit heranwachsenden Menschen geht, braucht es auf Seiten des Pädagogen, der Pädagogin diesen Weitblick.

Dadurch, dass wir unser eigenes Denken, unsere Einstellungen und unser Handeln regelmäßig auf den Prüfstand stellen, zeigen wir die Bereitschaft für einen professionellen Umgang mit unseren Schüler*innen.

Dies ist sicherlich nicht immer einfach und manchmal eine große Herausforderung, seine eigenen Denkmuster zu hinterfragen und dennoch ist es ein Teil der Verantwortung, die wir innerhalb unserer Berufsrolle tragen.

 

Es geht darum, Möglichkeiten zu eröffnen, Auch wenn es dann manchmal bedeutet, Abschied zu nehmen.

Ich kann nicht für jeden meiner Schüler*Innen die passende Lehrkraft sein.

 

Ich kann meinen Fokus darauf ausrichten, die Fähigkeiten jedes Einzelnen Schülers jeder einzelnen Schülerin, die zu mir kommt, zu entdecken, sozusagen freizulegen. Es geht um Unterstützung, darum, Ziele zu erreichen. Es geht um Hilfe zur Selbstreflexion und um das Eröffnen von Möglichkeiten, die zum einzelnen Schüler zur einzelnen Schülerin passen.

Auch wenn dies bedeuten kann, dass ich Schüler*innen zu Kolleg*innen weiterempfehle, weil sie dort besser aufgehoben sind um ihre Ziele zu erreichen.

Kommunikation ist das Bindeglied zwischen Menschen!

All dies setzt die Bereitschaft für einen offenen Dialog voraus. Denn Kommunikation ist das Bindeglied zwischen jedem Menschen.

Es setzt voraus, dass ich mir immer wieder eingestehe, dass meine Sicht, mein Denken über eine Sache, eine Situation, eine Handlung nicht die alleinige Wahrheit ist. Dass es genauso gut auch anders sein kann.

 

Je stabiler und vertrauensvoller die Beziehung ist, desto leichter fallen die Gespräche, die auf unterschiedlichen Ansichten beruhen.

 

Und hier schließt sich für mich mein Gedankengang, der durch die Geschichte von Ann Sophie Dürmeyer inspiriert wurde.

 

Instabilität, zu große Erwartungshaltungen, subjektive Bewertungen und Abwertungen können einen Menschen in eine schwere persönliche Krise führen.

Es liegt in unserer Verantwortung als Tanzpädago*In für Stabilität, für ein vertrauensvolles Lernumfeld zu sorgen, damit sich junge Menschen bei uns angstfrei entwickeln können.

 

 

Literatur:

A. Schlippe A. von/ Schweitzer J. (2019) Systemische Interventionen. Göttingen

Günter G. Bamberger. (2015) Lösungsorientierte Beratung. Weinheim

 

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